Das Projekt “Elbtaler” ist langfristig angelegt. Wir bewegen uns auf unbekanntem Terrain: Wir wollen eine funktionierendes Währungssystem entwickeln, dessen Ziel und grober Rahmen uns zwar bekannt sind, dessen konkreter Entwicklungsweg von uns jedoch ausprobiert werden muss. Es gibt bislang kein Patentrezept, wie “Währungen von unten” entstehen, wie sie sich durchsetzen können und welche Funktion sie letztlich in der künftigen Wirtschaft und der sich verändernden Gesellschaft übernehmen.
Wir sind somit auf einem Pfad, den wir beim Wandern erst erforschen.
Inzwischen ist in unserer Gesellschaft ein Bewusstsein dafür entstanden, dass Finanzsysteme instabil sein können. Die Suche nach den Ursachen hat erst begonnen. Als Beispiel seien zwei Förderangebote des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung genannt, die im Herbst 2013 ausgerufen wurden, um die Instabilitäten des Finanzsystems und nachhaltigere Wirtschaftsformen zu erforschen. Man könnte sagen: Erst 6 Jahre nach der Finanzkrise, die 2007 begann, beginnt jetzt langsam die Aufarbeitung dieser Krise mit dem Ziel, künftige Krisen zu dämpfen oder zu vermeiden. 6 Jahre hat also unsere Gesellschaft gebraucht, um zu realisieren, was ihr hier passiert. Oder besser: Dass ihr hier was passiert – was genau es ist, gilt ja noch als unklar. Es ist nicht damit zu rechnen, dass ein so komplexes und mit vielen Gesellschaftsbereichen verbundenes System wie das Geld- und Finanzsystem, mal eben innerhalb von 2 Jahren erforscht und neu justiert wird. Vielmehr beginnt jetzt eine Suche, die viele Jahre dauern kann.
Wir als Förderverein Elbtaler e.V. sind mittendrin in dieser Suche. Wir tragen bereits seit 2003 zu diesem Prozess bei, denn damals entstand in Dresden die Idee, mit der Entwicklung einer regionalen Währung die Regionalwirtschaft einerseits zu fördern, andererseits aber neue Geldsysteme mitzuentwickeln. Wir sind dabei schon ein gutes Stück gekommen, auch wenn wir die Erwartungen und Hoffnungen vieler Beobachter längst nicht erfüllen konnten. Für diese sind wir manchmal “zu langsam”, allerdings wird übersehen, dass die Entwicklung eines Geldsystems eben nicht vergleichbar ist mit dem Aufbau eines beliebigen Unternehmens, welches irgendwelche Produkte herstellt. Geld ist ein soziales Konstrukt, es ist ein S Y S T E M, keine Ware. Nur wenn viele Wirtschaftsakteure es nutzen, bekommt es seine Kraft und entfaltet seine Wirkung. Die Entwicklung eines Regionalwährungssystems ist daher eine Mischung aus sozialer und wirtschaftlicher Arbeit. Wir leisten Pionierarbeit. Grundlagenforschung im Reallabor, könnte man auch sagen.
Anfang 2012 haben wir einen großen Schritt gemacht. Wir haben eine über 2 Jahre selbstentwickelte Software online gestellt, die quasi den Prototypen einer “Art Bank” darstellt. Dieser “RegionalAtlas” verbindet Geografie mit Buchhaltung. Wir als Software-Entwickler mußten dafür verstehen, wie eine Bank funktioniert, wie ein Geldsystem funktioniert. Nur wenn man dies versteht, kann man es in Algorithmen und Software “übersetzen”. Diesen RegionalAtlas entwickeln wir beständig weiter und betreiben damit auch hier Grundlagenarbeit.
Wir vermissen bislang das Forschungsinteresse der Hochschulen in unserer Region. Die Finanzkrise wird medial stark diskutiert, aber dies führte nicht dazu, dass sich die Lehrstühle der Wirtschaftswissenschaften stärker für uns interessierten. Dabei ist der Elbtaler das ideale Forschungsprojekt vor Ort. Studenten könnte an ihm Probleme und Lösungsansätze zum Aufbau neuartiger Werkzeuge und Wirtschaftsstrukturen untersuchen. Sie können Wertschöpfungsketten beobachten, Wirtschaftskreisläufe untersuchen, betriebswirtschaftliche Elemente mit volkswirtschaftlichen verbinden. Sie könnten am sich entwickelnden Objekt lernen, wie Geldsysteme gebaut sind und: Wie man sie selbst bauen kann.
Für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler mag dieser Gedanke seltsam erscheinen, aber die Absolventen der Wirtschaftswissenschaft beenden ihr Studium nicht mit solchem Wissen. Obwohl Geld unabdingbare Grundlage unserer Wirtschaftsweise ist, wird seine Existenz in den meisten wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen vorausgesetzt. Geld ist in den meisten wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen einfach “da” und es wird meist als neutrales Element ohne eigene Wirkung betrachtet. Eine Auseinandersetzung darüber, wie Geld überhaupt in die (Wirtschafts-)Welt kommt und welche Wirkungen ein Geldsystem auf die sich entwickelnden Wirtschaftsstrukturen hat, wird nur in Nischen der Wirtschaftswissenschaften geführt. Wenn Geld selbst nur eine Nische im Wirtschaftsleben wäre, wäre das Nischendasein in dem zugehörigen Wissenschaftszweig verständlich, aber Geld ist allgegenwärtiger Alltag für jede Frau, jeden Mann und für viele Kinder und Jugendliche.
Entsprechend müßte jeder WiWi-Student erklären können, wie das heutige Geldsystem funktioniert, welche formenden Wirkungen es auf die Strukturen der Wirtschaft und auf die Psyche der Wirtschaftsteilnehmer hat, sowie welche Dynamiken es hervorbringt. Geld formt Wirtschaft. Geld ist aber ein Regel-System, dessen Regeln veränderbar sind. Das zeigt die Zentralbank immer dann, wenn sie die Leitzinssätze hebt oder senkt, denn in dem Moment ändern die Zentralbanker eine Regel im System. In einem starren, vergleichsweise eindimensionalen Geldverständnis wird Geld oft als etwas Unveränderbares angesehen, als etwas Gottgegebenes. Dass Geld eine menschliche Erfindung ist, die sich “umprogrammieren” läßt, so wie Ingenieure eine Maschine “justieren” oder Informatiker eine Software “anpassen” können, so lassen sich auch die Regeln eines Geldsystem verändern. Wir vermuten ganz stark, dass veränderte Geld-Regeln zu anderen Wirtschafts-Strukturen und Wirtschafts-Dynamiken führen. Aber: Wir wissen es nicht. Weil es niemand systematisch untersucht.
Wir vom Elbtaler sehen unsere Aufgabe darin, ein funktionierendes Geld-System zu entwickeln. Wir konzentrieren uns dabei auf die regionale Ebene und sind als Verein organisiert, weil wir auf dieser Ebene etwas bewegen können und dies demokratisch tun wollen. Wir haben genug damit zu tun, diese Umsetzung zu organisieren und die Idee demokratisch gestalteter Geldsysteme voranzutreiben. Finden wir dabei noch ausreichend Zeit, unser Tun und unsere Wirkung zu erforschen? Nein.
Der Elbtaler ist überwiegend ehrenamtlich organisiert. Jede Bäckerei hat mehr Personal als wir. Wir wollen uns nicht “beforschen” lassen, so als wären wir ein Experiment losgelöst von unserem Umfeld. Aber wir wollen gern unser kleines “Real-Labor” für Forscher öffnen, damit diese eintreten, mitmischen und mit uns gemeinsam forschen können. Ist es nicht das, was regelmäßig gfordert wird: Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft? Im Förderverein Elbtaler e.V. sind mehrheitlich Unternehmer Mitglied. Wir vertreten bislang nur einen kleinen Teil der Wirtschaft, aber: Wir vertreten ihn! Wir sind bereit, unser Wissen in den Forschungsbereich zu transferieren und wir sind offen dafür, Wissen aus dem Forschungsbereich in unserer Arbeit zu nutzen. Doch Interesse dafür ist bei den Dresdner Hochschulen bislang Mangelware.
Man könnte uns vorwerfen, wir suchten den Kontakt zu den Hochschulen nicht. Wir müssen entgegnen: Ehrenamt hat Grenzen. Der Möglichkeiten sind zu viele, um sie alle zu probieren. Wir laden hiermit ein, mit uns in Kontakt zu kommen. Statt dass wir an 10 Türen klopfen, damit vielleicht eine Interesse zeigt (push), wünschen wir uns die Kontaktaufnahme jener, die Interesse haben (pull). Themen für Bachelor-, Master-, Diplom- und Doktorarbeiten gibt es viele und sie beschränken sich nicht nur auf die Wirtschaftswissenschaften.
Die Suche nach einer mehr nachhaltigen Wirtschaftsform und nach stabilen Geld- und Finanzsystemen kann vor unserer eigenen Haustür beginnen. Wir müssen nicht auf Brüssel oder Berlin warten. Interesse an einer Weiterentwicklung unserer Wirtschaft und ihrer Werkzeuge sollte jeder Mensch haben, denn das Leben unserer und der kommenden Generationen könnte davon abhängen. Daher darf dies als Aufruf an Studenten, wissenschaftliche Mitarbeiter und Professoren verstanden werden: Forschen wir gemeinsam! Wir haben das Forschungsfeld, erste Erfahrungen und ein hochinteressantes Real-Labor. Betreten Sie es.
25. September 2013